VON MARIANNE KOLARIK
Wie kommt eine DĂŒsseldorferin auf eine argentinische Briefmarke? Ganz einfach, indem die dortige Post die typischste Tango-TĂ€nzerin des Landes auswĂ€hlt. Bis der 1963 in DĂŒsseldorf geborenen Nicole Nau im Jahr 2001 eben diese Ehre widerfuhr, hat sie einen weiten Weg voller Abzweigungen und Umleitungen zurĂŒck gelegt. WĂ€hrend sie davon erzĂ€hlt, unterstreicht sie die SĂ€tze mit weichen, ausdrucksvollen Gesten - Arme und HĂ€nde formen Figuren in die Luft. Und sie hat viel zu erzĂ€hlen. Zum Beispiel von ihrer behĂŒteten Kindheit in Oberkassel, von dem Wunsch, Ballett-Stunden zu nehmen, der nicht in ErfĂŒllung ging. Statt lernte sie reiten. SpĂ€ter wollte sie bildende KĂŒnstlern werden. Aber nach dem Abitur ĂŒberfielen sie plötzlich Zweifel: "Wie soll ich mich als freie KĂŒnstlerin ernĂ€hren". Deshalb entschied sie sich fĂŒr eine Ausbildung zur Grafikerin und stieg in einer renommierten Werbeagentur ein. "Das war die schlechteste Entscheidung, die ich treffen konnte, weil die Grafik mir die Kunst kaputt gemacht hat. Irgendetwas in mir wurde ganz unruhig".
Um diese Unruhe los zu werden, belegte sie einen Jazz-Dance-Kurs. Das half nur bedingt. Schicksal spielte ein Flyer, auf dem fĂŒr die AuffĂŒhrungen des "Tango Argentino" in MĂŒnchen geworben wurde. Man schrieb das Jahr 1988. Sie fuhr in die bayerische Landeshauptstadt, guckte sich die Show an - und war augenblicklich verzaubert. Dass ein gewisser Luis Pereyra, der zur Compagnie gehörte, spĂ€ter ihr Partner werden wĂŒrde, konnte sie nun wirklich nicht ahnen. Am darauf folgenden Tag besorgte sie sich ein Ticket nach Argentinien.
Im Dezember landete sie in dem groĂen lateinamerikanischen Land und war zunĂ€chst maĂlos enttĂ€uscht. "Der Tango war wie ausgestorben", erzĂ€hlt sie. "Ich habe sehr lange suchen mĂŒssen, um einen Lehrer zu finden". Der Grund: "Tango Argentino" hatte mit seinem Gastspiel das Tango-Fieber weltweit entfacht, in seiner Heimat waren allerdings nur noch Relikte vorhanden. Nach sechs Wochen musste sie zurĂŒck in die Werbeagentur - und nahm nebenher klassischen Ballett-Unterricht: "Ich stand zwischen den kleinen MĂ€dchen, das war mir schon peinlich". Ein Jahr spĂ€ter hing Nicole Nau ihren Job an den Nagel, löste ihre Wohnung auf, holte ihre Ersparnisse vom Konto und zog nach Argentinien. Sie hatte GlĂŒck und bekam bei einem Casting fĂŒr eine Oper die Rolle einer Tango-TĂ€nzerin, weil sie einer der SĂ€ngerinnen Ă€hnlich sah, die sie doubeln sollte.
In den ersten Jahren habe sie genau wie die meisten anderen Tango-TĂ€nzer das Klischee von dessen Verruchtheit bedient: Kaschemme, Rotlichtmilieu, Strapse, Macho, Weib: "Diese Klischees konnte ich hervorragend bedienen". Dabei seien die Argentinier ein so fröhliches wie h ĂŒberschĂ€umendes Volk. Die hĂ€ufig zitierte Melancholie, Trauer oder Bitterkeit lehnt sie ab: "Das sind Schlagworte, die treffen vielleicht fĂŒr die Texte und den Gesang zu, weil man sich das Leid von der Seele singen kann. Aber eine Person, die tanzt, leidet nicht, sondern lebt. Der Tango ritualisiert die Begegnung von Mann und Frau - wie alle anderen Folklore-TĂ€nze". Er habe es nicht verdient, als billige Anmache missbraucht zu werden.
Als AuslĂ€nderin gab es zwar den Exoten-Bonus was die Reaktionen der Presse anging, aber auch Minus-Punkte: "Die Kollegen lassen sich von einer Deutschen nicht gerne die Butter vom Brot nehmen". Der Neid-Faktor verschwand erst, als man begriff, dass sie mit ihren Tanz-Projekten auch ArbeitsplĂ€tze schuf. Im Jahr 2000 produzierte sie mit meinem damaligen Partner eine Tango-Oper fĂŒr das Nederlands Dance Festival in Holland auf der Basis einer argentinischen Adaption von Sophokles' "Elektra". DafĂŒr engagierten sie einen TĂ€nzer. Der Mann hieĂ Luis Pereyra, ihr heutiger Lebens- und Tanzpartner, der ihr spĂ€ter die kulturellen Wurzeln seines Landes nahe bringen sollte.
Ăber 200 verschiedene folkloristische TĂ€nze existieren in Argentinien - der Tango ist einer davon. Pereyra beherrscht sie alle - weil er seit seinem fĂŒnften Lebensjahr nichts anderes gemacht hat, als zu tanzen. Mit zehn Jahren stand er zum ersten Mal auf der BĂŒhne. "Durch ihn habe ich gemerkt, wie wenig ich eigentlich konnte", meint Nicole Nau im RĂŒckblick. Und beginnt von ihm wie eine 15-jĂ€hrige zu schwĂ€rmen. "FĂŒr mich ist er der Nonplusultra-TĂ€nzer. Wenn ich mir groĂe TĂ€nzer wie Barishnikow, Antonio Gades oder Fred Astaire anschaue finde ich etwas Ăhnliches bei Luis im Bereich des Tangos und des populĂ€ren Tanzes. Er sieht sich als Instrument, das Musik sichtbar macht."
Pereyra sei der einzige TĂ€nzer, der ein Choreografie-Studium abgelegt habe, fĂŒgt sie hinzu. Auf der BĂŒhne bilden sie eine Einheit: Dabei gibt es beim Tango eine klare Rollenaufteilung: Er fĂŒhrt, gibt den Einsatz, den Impuls. "Viele Frauen assoziieren damit UnterwĂŒrfigkeit", weiĂ Nicole Nau. Das sei aber grundverkehrt. Der Mann tanze immer in ihre Bewegungen hinein.Tango tanzen zu lernen sei ein bisschen, als ob man sich eine Sprache aneigne. Wenn man sie nur auswendig lerne, ohne die Grammatik zu beherrschen, könne man die Worte nicht frei miteinander kombinieren und schon gar keine GefĂŒhle ausdrĂŒcken. Beim Tango gebe es noch nicht einmal zehn Elemente, die man können muss, um unendlich viele Figuren damit zu kreieren.
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2003 waren sie zum ersten Mal auf Deutschland-Tournee. Sechs Wochen waren geplant, es wurden acht Monate daraus. Ihre dritte gemeinsame Produktion, mit der sie nun in Deutschland, den Niederlanden und Ăsterreich auf Tournee gehen, heiĂt "Bailando en soledad... Tango!" - "Tanzen in Einsamkeit", eine Einsamkeit, die das Paar miteinander teilt.
<ma813>Nau/Pereyra treten vom Fr 1. bis Di 5. Sept. um 20.15 Uhr, im Senftöpfchen-Theater auf.
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