Tangofolklore

TEXT Prensa Marie Claire 10/2002

Date: Miércoles, Octobre 02 2002
Topic: Archiv 2002

Zeitung: Marie Claire
Rubrik: Aus meinem Leben
Autorin Beate Berger
Interview mit der TĂ€nzerin Nicole Nau
Titel: Ich bin eine Briefmarke
Datum Oktober 2002

Ein paar hat sie immer dabei, weniger zum Verschicken als zum Verschenken. Eine eigene Briefmarke ist ja auch origineller als eine schnöde Visitenkarte. Und Visitenkarten hĂ€tte Nicole Nau in Argentinien, wo sie heute lebt, auch nicht nötig. Dort kennt sie sowieso jeder. Sie die mit nichts als ihren Hoffnungen und der Liebe zum Tango vor 14 Jahren nach SĂŒdamerika kam. Inzwischen ist die heute 39-jaehrige ein Star und der argentinischen Post eine Sondermarke wert ? jede fĂŒr 75 Centavos.



Begonnen hatte die Liebe zum Tango 1988 in DĂŒsseldorf. Dort arbeitete Nicole Nau erfolgreich als Grafikerin, war aber unzufrieden mit dem leben in der coolen Werbeagenturenwelt. Bis sie bei einem argentinischen TĂ€nzer Unterricht in Tango Argentino nahm. Sie wusste sofort, das ist es. Die geheimnisvollen KlĂ€nge des Bandoneon, die Umarmungen hatten eine Sehnsucht in ihr geweckt, die sie nicht mehr losließ.
Noch im Dezember desselben Jahres flog sie nach Buenos Aires, ohne zu ahnen, was sie jenseits des Atlantiks erwartete. "Ich wusste nur eins, ich wollte unbedingt Tango tanzen lernen. Ich werde nie vergessen, wie mir das Herz aufging, als ich auf dem Flughafen Ezeiza ankam. Hier dachte ich, bin ich richtig. Das klingt vielleicht pathetisch, aber es war ein GefĂŒhl, wie nach Hause zu kommen. "......
Binnen eines Jahres gehörte Nicole zu den Tangostars der argentinischen Hauptstadt. Bereits im August 1990 trat sie im Teatro Colon in der Oper "Maration" auf. Zuletzt erhielt sie im MÀrz dieses Jahres bei der Weltpremiere der Oper "Orestes last Tango" in Rotterdam euphorische Kritiken.
Tango Argentino hat mit dem zackigen Stechschritt Tango deutscher Tanzschulen ungefĂ€hr soviel zu tun wie Creme Brulee mit einem Vanillepudding. Beides ist ein Genuss, lĂ€sst sich aber nicht wirklich miteinander vergleichen. Anders als die StandardtĂ€nze kennt der Tango Argentino keine geregelten Schrittfolgen. Es gibt ein paar Grundregeln, aber im Prinzip entsteht er spontan beim Tanzen, von Moment zu Moment. Der Mann fĂŒhrt, die Frau wird gefĂŒhrt. "Ich wĂŒrde sagen, die Frau begleitet den Mann", korrigiert Nicole, "Tango ist ein getanzter Dialog" entstanden ist er um die Jahrhundertwende im argentinischen Einwanderermilieu. In einem Schmelztiegel der Kulturen. Seine Grundthemen: Heimweh, Leidenschaft, Einsamkeit, unerfĂŒllte Sehnsucht, Liebe.
Ein bisschen erinnern diese Stichworte an Nicoles Leben und ihre Art TrÀume zu verwirklichen. Wie beispielhaft ihre Biografie in einem Einwandererland wie Argentinien ist, begriff Nicole erst als vor 2 Jahren eine Anfrage vom argentinischen Postministerium kam.Ob sie und ihr Partner damit einverstanden seien auf einer Briefmarke abgebildet zu werden. Sie selbst waren ja mit nichts als ihren Hoffnungen in dieses Land gekommen ? und dienten nun als herausragendes Exempel einer typisch argentinischen Erfolgsgeschichte. Eine zweite Marke mit dem europÀischen Duo wurde im vergangenen Jahr aufgelegt.
Einmal, erzĂ€hlt Nicole amĂŒsiert, habe sie in der Hauptpost von Buenos Aires hundert Briefmarken mit ihrem Konterfei gekauft und dabei einen Menschenauflauf von Bewunderern verursacht.
Und wie könnte dieses TangomĂ€rchen enden?Am besten so: Sie lebten glĂŒcklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage. "Aber es gibt kein Happy End" antwortet Nicole ernst........?Ein Geheimnis ist unsere Trennung nicht, aber es tut uns noch zu weh, um öffentlich darĂŒber zu reden.?
Auf die Frage wie es zu der Trennung kam, antwortet Nicole mit einer melancholischen LiebeserklĂ€rung: "Ohne ihn gĂ€be es meinen Tango nicht. Wir haben unseren Tanz wie ein Kind großgezogen. Unsere innigsten Momente haben wir auf der BĂŒhne erlebt. Aber unsere Liebe ist uns dabei abhanden gekommen." So ist er eben ihr Tanz, "geliebt oder verlassen, im Tango gibt es keine Grauzone. Man kann nicht ein bischen Tango tanzen. Man muss sich hingeben, darf sich aber nicht aufgeben. Das sind Aspekte, die im Leben von Buenos Aires eine große Rolle spielen."
Die FĂ€higkeit Extreme zu ertragen, mĂŒssen die Portenos, die Einwohner von Buenos Aires, derzeit unter Beweis stellen wie selten zuvor. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Regierungen kommen und gehen. ?Viele meiner Freunde sind ruiniert?, sagt Nicole, ?und das nicht nur im finanziellen Sinn. Es gibt keine Perspektive. Die Mittelschicht lebt unter der Armutsgrenze. Morgens sieht man in der Zeitung, was an diesem Tag geht. Ist der PrĂ€sident noch im Amt?Öffnen die Banken? Da kann man nicht mal daran denken, ein Kind zu kriegen. Neun Monate! Solch einen Zeitraum kann im Moment kein Mensch in Buenos Aires ĂŒberblicken.? Dennoch gibt es fĂŒr Nicole unzĂ€hlige GrĂŒnde in ihrer Wahlheimat zu bleiben. Der Wichtigste: Sie hat sich erneut verliebt. Er ist ebenfalls ProfitĂ€nzer in der Spitzenliga. Luis Pereyra, 37 Jahre alt. Doch diesmal will Nicole eine stĂ€rkere Trennung von Beruf und Privatleben.
Denn die getanzte Leidenschaft ist nicht auf den Alltag ĂŒbertragbar. Das weiß jeder, der die Salons und CafĂ©s betritt, wo sich die Tangopaare im Kreis drehen. "Wenn die Musik beginnt, schweifen die Blicke durch den Raum. Über Augenkontakt sucht man den Tanzpartner. Die Portos sind sehr wĂ€hlerisch und prĂŒfen genau, von wem sie umarmt werden möchten. Mit den Blicken wird garantiert, dass nur die zwei Menschen sich auffordern, die Interesse aneinander haben. Dann gibt es eine ganz kleine Kopfbewegung, die bestĂ€tigt: Ja, wir haben uns gemeint" und kaum sind die letzten Töne des Bandoneon verklungen, beginnt eine neue Wahl.





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