TEXT RGA 19.08.2006
Date: Sábado, Agosto 19 2006 Topic: Archiv 2006
Das mit der Briefmarke war eigentlich ein Missverständnis. Den 100.
„Geburtstag“ des Tango wollte die argentinische Post im Jahr 2001 feiern
und dies mit einer prominenten Tänzerin bebildern. Ausgewählt wurde
Nicole Nau. „Ausgerechnet eine Ausländerin als Repräsentantin des
Tango!“, amüsiert sich die Düsseldorferin noch heute. Dass man diese
Tatsache einfach ĂĽbersehen hatte, erfĂĽllt sie zu Recht mit Stolz. Sich
diese Anerkennung im Mutterland des Tango ertanzt zu haben - das
bedeutet schließlich zunächst einmal unermüdliches Lernen, blutige Füße,
Tränen. Durchhalten, trotz der Anfeindungen und Eifersüchteleien, die
ihr als Ausländerin von Seiten der professionellen Kollegen zunächst
entgegenschlugen. „Bis sie merkten, dass ich ihre Kultur respektiere und
am selben Hungertuch nage“, lächelt die Tänzerin.
Zart, beinahe
zerbrechlich wirkt sie im Gespräch. Wieviel Energie in ihr steckt,
merkt man erst, wenn sie tanzt. MĂĽhelos schafft sie es, mit ihrer
Präsenz eine große Bühne zu füllen. Eine solche Energie entsteht nur da,
wo echte Leidenschaft brennt. Und die war entflammt, als Nicole Nau zum
ersten Mal die Show „Tango Argentino“ sah. 1988 in München war das,
Nicole war 25 Jahre alt und wusste: „Das ist es“. Nicht ahnen konnte sie
damals allerdings, dass 13 Jahre später einer der Tänzer, den sie da
auf der BĂĽhne gesehen hatte, ihr Tanz- und Lebenspartner werden sollte:
Luis Pereyra. Die 25-Jährige packte ihre Koffer, gab ihren Job als
Grafikerin in einer groĂźen DĂĽsseldorfer Werbeagentur auf und flog nach
Argentinien. Tanzen lernen wollte sie, „solange das Ersparte reicht“. Es
wurde ein neues Leben daraus.
„Ein anderes kann ich mir nicht
mehr vorstellen“, sagt sie heute. Dabei ist es ein knallharter Job, vom
Tanzen zu leben. Nur wenige in Buenos Aires haben das geschafft, ohne
Kellnern oder Taxifahren nebenbei. In den vergangenen zehn Monaten
standen Nicole Nau und Luis Pereyra gemeinsam bis zu viermal täglich auf
der Bühne im Viejo Almacén, einem der ältesten Tangohäuser der Stadt.
Dazu die Proben für die zweite eigene Show , „Bailando en Soledad . . .
Tango!“ („Tanzen in Einsamkeit“), die am 26. August in Remscheid
Premiere feiert und anschlieĂźend durch Deutschland, Holland und
Österreich tourt. „In der ganzen Zeit hatten wir sechs Tage frei“,
erzählt die Tänzerin. Ihre kostbaren grünen Augen funkeln dabei. Von
Erschöpfung scheinbar keine Spur. Zu wichtig sind die eigenen Projekte,
mit denen sich die beiden einen Traum verwirklicht haben. Bevor sie
für ihre erste eigene Show „El sonido de mi tierra - personalissimo“
(„Der Klang meiner Erde“) ihre ganzen Ersparnisse plünderten, war Luis
mit so ziemlich allen groĂźen Tango-Shows um die Welt getourt. Und hatte
deren Oberflächlichkeit gründlich satt. „Es wird immer wieder das
gleiche Klischee verkauft“, sagt er. Das Spiel mit dem Schlüpfrigen,
Spelunken-Romantik, Pseudo-Erotik, gespielte Leidenschaft, virtuose
Effekte, falsches Pathos. „Die Seele des Tango geht dabei verloren“,
klagt er, eine Spur von Zorn in der Stimme. „Tango ist vor allem Tanz,
ist Ausdruck von Musik - und nicht Philosophie des Lebens“, wehrt sich
Pereyra auch gegen das schöne Klischee vom „traurigen Gedanken, den man
tanzen kann“.
FĂĽr ihn hat der Tango viele Facetten. Energie,
Freude, spielerische Leichtigkeit gehören genauso dazu wie die dunkleren
Töne. Auch eine gewisse Erdverbundenheit, die sich aus folkloristischen
Elementen speist. Tango und Folklore sind für den 41-Jährigen keine
Widersprüche: „Der Tango ist ja ein Tanz des Volkes“. Luis ist mit
Folklore groĂź geworden, tanzt seit seinem fĂĽnften Lebensjahr. Ihn tanzen
zu sehen, ist ein Naturereignis. Musik, Bewegung, Rhythmus verschmelzen
bei ihm zu vollkommener Einheit. Leidenschaft pur.
In ihrer
ersten eigene Show „El sonido de mi tierra - personalissimo!“, mit der
Nau und Pereyra im vergangenen Jahr in Europa groĂźe Erfolge feierten,
haben sie erstmals beides zusammengebracht, den Tango und die Folklore.
„Auch in unserer neuen Show bleibt das ein wichtiges Element“, verrät
Nicole Nau. Wobei sie das Wort „Show“ nur ungern in den Mund nimmt. „Es
ist mehr ein richtiges Stück geworden, das eine Geschichte erzählt“,
verrät sie. Um „Show“-Effekte geht es ihnen nicht. Vielmehr darum,
Tangos aus verschiedenen Epochen wieder zum Leben zu erwecken, ihnen
Seele einzuhauchen und ihre Faszination wieder spĂĽrbar zu machen. Und
das geschieht eher mit kleinen Gesten. Vor allem aber durch die
Leidenschaft und Innigkeit, mit der die beiden tanzen. Auch wenn das
StĂĽck komplett durchchoreografiert ist, auch wenn sie es vor dem
Tourstart 60 Mal geprobt haben, „es wird jedesmal neu gelebt“, sagt
Nicole Nau. Ihre Show, ihr StĂĽck soll mehr sein als ein weiterer
Tango-Export-Artikel. „Wir kämpfen für eine Kultur“, sagt Luis mit
dieser Art von selbstverständlichem Stolz, von dem der durchschnittliche
Mitteleuropäer nur träumen kann. Mit dieser Auffassung stehen Luis
Pereyra und Nicole Nau in der Tango-Szene ziemlich allein da. Und so
tanzen sie weiter, voller Leidenschaft, aber in Einsamkeit - bailando en
soledad.
-> „Bailando en Soledad ... Tango!“ Die Termine:
26. August, Remscheid, Teo Otto Theater (UrauffĂĽhrung) 1.-5.
September, Köln, Senftöpfchen 7. 9., Soest, Alter Schlachthof 8.
9. Wuppertal, Rex-Theater 11. 9./ 30.10., Düsseldorf, Apollo-Varieté Karteninfo
unter: 0221/ 550 43 15
-> Bis Ende des Jahres geben Nicole
und Luis jeden Montagabend Workshops in der „Alten Feuerwache“
Wuppertal. Einzelstunden in Mönchengladbach können nach Absprache
gebucht werden (0162/ 6 94 47 21). Infos: www.tangofolklore.com
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